Wie funktionieren gute Hollywood Blockbuster und was hat das mit einer Darmspiegelung zu tun?
Im fünften und letzten Teil der Serie "Schnelles Denken, Langsames Denken" von Daniel Kahnemann widmen wir uns abschließend einem sehr interessanten Phänomen des menschlichen Geistes, das wesentlichen Einfluss darauf hat, wie wir unseren Entscheidungen treffen. Es geht dabei vor allem wie wir Erlebnisse im Nachhinein Bewerten und so unsere Entscheidungen treffen und es hingegen weniger darauf ankommt, wie wir das Erlebnis in der Situation selbst erlebten - ein auf den ersten Blick seltsam erscheinender Gedanke.
Hollywood und die Darmspiegelung

Welche Gemeinsamkeit haben die besten Hollywood Blockbuster und eine Darmspiegelung? Oder warum bleiben uns manche Urlaube in sehr positiver, unvergesslicher Erinnerung, während wir uns bei anderen nur mit Schaudern daran erinnern. Alle drei Phänomene habe eins gemein, die sogenannte Höchststand–Ende–Regel. Was das genau ist und wie man zu dieser Erkenntnis gekommen ist und vor allem wie wir diese Erfahrungen für uns selbst nutzen können, möchte ich in diesem Beitrag erläutern.
Basis für diese Erkenntnis ist eine Studie, die Don Redelmeier (Arzt und Forscher an der Universität in Toronto) und Daniel Kahnemann Anfang 1990 durchführten. Dabei befragten sie die Patienten, die sich einer Darmspiegelung unterzogen, alle sechzig Sekunden wie ihr aktuelles Schmerzempfinden ist. Dabei muss man noch kurz vorausschicken, dass es damals noch keine routinemäßig eingesetzten Narkotika gab und die Untersuchung daher mitunter sehr schmerzhaft sein konnte. Die Skala für das Schmerzempfinden, die den Patienten zu Grunde lag befand sich zwischen null für keine Schmerzen und zehn für unerträgliche Schmerzen. An der Studie selbst nahmen 154 Patienten teil und die Dauer der jeweiligen Darmspiegelung betrug zwischen vier und 69 Minuten.
Am Ende der Studie sollten die Teilnehmer noch die Gesamtheit der Schmerzen angeben, die sie, während der Untersuchung erlebt hatten. Dabei wollte man herausfinden, ob es einen Unterschied in den erlebten Schmerzen während der Untersuchung und den Schmerzen, an die man sich im Nachhinein erinnert, gab. Erstaunlicherweise stimmten diese Angaben nicht überein.
In der untenstehenden Abbildung sehen sie zwei Diagramme von zwei unterschiedlichen Patienten aus dieser Studie. Wenn Sie nun davon ausgehen, dass das Schmerzempfinden auf der Skala zwischen null und zehn von beiden annähernd gleich angegeben wurden, was würden sie sagen, welcher von den beiden Patienten hat mehr unter der Untersuchung gelitten?

Nach allgemeinen Verständnis wird man behaupten, dass es Patient B schlechter ging, da er viel länger Schmerzen erdulden musste. Die Einschätzung der beiden Patienten überraschte, denn sie stimmte nicht mit den allgemeinen Erwartungshaltung überein.
Die statistische Analyse der Daten und der Aussagen der Patienten ergaben zwei klare Erkenntnisse, die so nicht zu erwarten waren.
Die Höchststand-Ende–Regel beschreibt, dass die globale Einstufung in der Rückschau von der durchschnittlichen Schmerzintensität im schlimmsten Moment des Experiments und von der durchschnittlichen Schmerzintensität am Ende gut vorhergesagt wurde.
Komplett vernachlässigt wird dabei die Dauer der jeweiligen Untersuchung. Diese hatte nicht die geringste Auswirkung auf die Einschätzung der empfundenen Schmerzen.
Wendet man diese beiden Regeln an die oben angeführten Patienten an, so kommt man auf einen Mittelwert bei Patient A von 7,5 (8 für den höchsten empfundenen Schmerz & 7 für das Schmerzempfinden am Ende der Untersuchung) und auf einen Mittelwert bei Patient B von 4,5 (8 für den höchsten empfundenen Schmerz & 1 für das Schmerzempfinden am Ende der Untersuchung). Erwartungsgemäß gab Patient A eine viel schlechtere Erinnerung an die Darmspiegelung an als Patient B. Es war leider das schmerzintensive Ende, dass eine unangenehme Erinnerung bei Patient A hinterließ, obwohl die Untersuchungsdauer viel kürzer war, aber wie wir jetzt wissen für die Schmerzbeurteilung keinen Einfluss hat.
Das gleiche Phänomen erhält man zum Beispiel, wenn man auf Urlaub fährt und die Rückreise nicht nach Plan verläuft. Das vermeintlich negative Ende wirkt sich viel stärker auf den Gesamteindruck des Urlaubs aus als wie die gesamte Zeit des Urlaubs die sehr positiv gewesen sein kann. Bitte denken Sie daher bei der Planung der nächsten Urlaubsreise, dass speziell das Ende mit einer positiven Note abschließt, sodass dieser lange in guter Erinnerung bleibt.

Ein weiters Beispiel der Höchststand-Ende-Regel soll das nebenstehende Bild verdeutlichen. Rein rational ist es nur schwer begründbar, warum man sich viele Tattoos stechen lässt, obwohl dies eine sehr schmerzhafte Erfahrung ist. Da jedoch das Ende meist positiv ausfällt vergisst man die Schmerzen leichter und ist wieder gewillt sich ein weiteres Tattoo stechen zu lassen.
Bewusst wird dieses Wissen bei der Produktion von Film angewandt. Hier setzt man gezielt auf Höhepunkte im Film, aber vor allem gegen Ende ist es wichtig noch einmal ein Highlight zu setzten, um positiv in Erinnerung zu bleiben. Passen Sie beim nächsten Kino Besuch darauf auf, wie gute Filme von der Dramaturgie her aufgebaut sind. Gleiches können Sie auch gerne bei Präsentationen anwenden, planen Sie Ihre Highlights bewusst ein und vergessen Sie nicht auf das Highlight kurz vor Ende.
Um diese doch sehr überraschende Erkenntnis der Studie noch genauer zu untersuchen, führte man eine weiter Studie durch, die unter dem Namen „Die Kalte Hand“ bekannt wurde und zu einem neuen Begriff der „Zwei Selbste“ führte.
Die "Zwei Selbste"
Hierbei handelt es sich um zwei unterschiedliche Systeme von uns selbst wie wir eine Erfahrung aktuell erleben und beurteilen und wie wir sie im Nachhinein beurteilen. Im wissenschaftlichen Kontext spricht man hier vom Erlebenden Selbst und vom Erinnernden Selbst. Beide Begriffe werde hier etwas genauer erläutert und sollen damit auch die Ergebnisse aus der Studien der Darmspiegelung untermauern.
Zum einen gibt es das Erlebende Selbst. Es beschäftigt sich mit der Frage was wir jetzt gerade tun und ob uns das gefällt und wir zufrieden sind. Dabei spielt auch das relative Zeitgefühl eine entscheidende Rolle. Bei Dingen, die uns Freude bereiten, vergeht die Zeit oft viel zu schnell da man im Tun selbst das Zeitgefühl verliert. Handelt es sich jedoch um Tätigkeiten, die uns keine Freude bereiten, haben wir oft das Gefühl, dass die Zeit schier endlos langsam vergeht.
Dann gibt es noch das Erinnernde Selbst. Diese zweite Variante unserer Gedanken beschäftigt sich mit der Frage: Wie war das Erlebnis im Großen und Ganzen. Spannend wird es, als bei wissenschaftlichen Studien bewiesen wurde, dass diese zwei Selbste nicht immer die gleichen Erkenntnisse hervorbrachten, wie man bereits anhand der Ergebnisse aus der Studie der Darmspiegelungen festgestellt hat. Es kam zu eindeutigen Verwechslungen zwischen dem tatsächlich Erlebten und den Erinnerungen – ein klassisches Beispiel für kognitive Illusionen. Dadurch kann es auch dazu kommen, dass Entscheidungen getroffen werden, die anhand der erlebten Erinnerungen nicht nachvollziehbar waren.

Um diese beiden Selbste anhand objektiver Studienergebnisse genauer beschreiben zu können überlegte man sich ein Experiment anhand man die angestellten Hypothesen verifizierte. Diese Studie ist unter dem Namen Kalte-Hand-Experiment bekannt geworden. Jeder Teilnehmer an dieser Studie durchlief drei unterschiedlich lange Episoden, in denen eine Hand in kaltes Wasser getaucht wurde. Die kurze Versuchsdauer bestand aus einem sechzig sekündigen Eintauchen in ein Wasserbad mit 14 Grad Celsius. Dies wurde als unangenehm aber nicht als untertäglich bewertet. Die lange Episode dauerte neunzig Sekunden. Die ersten sechzig Sekunden waren gleich wie im vorangegangenen Experiment. Nach sechzig Sekunde wurde von den Studienteilnehmer unbemerkt warmes Wasser in das Becken geleitet. Während dieser letzten dreißig Sekunden stieg die Wassertemperatur um ca. 1 Grad Celsius. Gerade ausreichend genug, um für die meisten Probanden eine leichte Abnahme der Schmerzen zu empfinden. Zwischen diesen beiden Versuchen lagen sieben Minuten. Nach weiteren sieben Minuten wurden die Teilnehmer gefragt, welches der beiden Experimente sie nochmals durchlaufen möchten, sie hatten dabei absolute Wahlfreiheit.
Dieses Kalte-Hand-Experiment sollte einen Interessenskonflikt zwischen dem erlebenden und dem sich erinnernden Selbst sowie zwischen dem Erfahrungsnutzen und dem Entscheidungsnutzen erzeugen. Aus der Sicht des erlebenden selbst war der lange Versuch offensichtlich schlimmer. Aus der anfangs beschriebenen Höchststand-Ende-Regel und der Vernachlässigung der Zeit hat man vermutet, dass sich die meisten Studienteilnehmer jedoch für die längere Variante entscheiden werden. Tatsächlich war es auch so, denn knapp 80% der Studienteilnehmer wählten für die Wiederholung das längere Experiment. Sie beschlossen, die Episode zu wiederholen, an die sie sich mit weniger Unlust erinnerten. Die Probanden wussten genau, dass die beiden Versuche unterschiedlich lange dauerten, und entschieden sich trotzdem für die Variante, in der sie 90 Sekunden dem Schmerz ausgesetzt waren. Sie nutzen dieses Wissen nicht für die Entscheidungsfindung. Ihre Entscheidung folgte einer einfachen intuitiven Wahl.
Fazit
Es ist menschlich, dass die Erinnerung an eine Erfahrung mit der tatsächlichen erlebten Erfahrung nicht unbedingt übereinstimmen muss und es öfter zu unterschiedlichen Einschätzungen und sogar zu Verwechslungen kommen kann. Man nennt dies kognitive Illusion.
Dies hat zur Folge, dass Präferenzen und Entscheidungen, welche von unseren Erinnerungen geprägt sind, zu oft irrationalen Handlungen führen. In unserem Intellekt ist eine Inkonsistenz eingebaut.
Wenn Sie das nächste Mal eine Präsentation erstellen, denken Sie an die Höchststand-Ende-Regel und bauen Sie bewusst Highlights und eines davon bewusst am Ende, ein.
Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, freue ich mich sehr auf ein positives Feedback oder like von Ihnen. Fragen und Anregungen können Sie mir gerne in die Kommentare schreiben. Wenn Sie Fragen zu ähnlichen oder anderen Themen haben, bitte lassen Sie mich es wissen.
Alles Gute und viel Erfolg für Ihre Vorhaben!

Links:
Schnelles Denken, Langsames Denken* von Daniel Kahneman
Thinking, Fast and Slow* von Daniel Kahneman im englischen Original
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